Dies ist der fünfte Teil der Serie über unseren finanziellen Masterplan. Hier geht es zum ersten Teil und zur Übersicht über die ganze Serie.
Achtung, Achtung, hier kommt das Herzstück unseres finanziellen Masterplans. Wir klären heute, mit welchem monatlichen Einkommen aus unseren Investments wir genau rechnen.
Hol dir am besten einen Kaffee oder Tee und mach’s dir gemütlich. Das ist ein etwas längerer Artikel.
Ich habe dir ja bereits im ersten Beitrag dieser Serie die 4-Prozent-Regel vorgestellt. Heute nehmen wir diese Regel nochmal etwas genauer unter die Lupe und schauen uns an, warum sie eher nur als Faustregel taugt und nicht als effektive Entnahmeregel.
Anschliessend stelle ich euch unsere aktuelle Entnahmeregel vor, die einige der Schwachstellen der 4-Prozent-Regel ausmerzt.
Let’s go! Was du über die 4-Prozent-Regel wissen musst
Eine kurze Google-Suche liefert dir viele Informationen über die 4-Prozent-Regel. Trotzdem hier im Schnelldurchlauf ein paar Eckdaten, wie die 4-Prozent-Regel entstand und warum wir sie vielleicht nicht eins zu eins so anwenden sollten.
«Kommt, gehen wir gemeinsam in die Geschichtsbücher hinein!», pflegte mein Geschichtslehrer stets zu sagen. Ich hatte aber echt keinen Bock, mit ihm in die Geschichtsbücher hinein zu gehen. Nie. Die schlechteste Note meines Lebens kassierte ich wenig überraschend auch bei einer Geschichtsprüfung. Eine 1.25 – keine Ahnung, bei welcher Aufgabe ich überhaupt diese Viertelnote bekam. Leider war es auch die allererste Prüfung bei diesem Lehrer und meine Leistung bei diesem ersten Test hat unser Verhältnis in den darauffolgenden drei Jahren leider ziemlich nachhaltig geprägt.
Im Nachhinein muss ich zugeben, dass ich wahrscheinlich auch ein paar interessante Sachen erfahren hätte, wenn ich wenigstens ein paar Mal mit ihm in das Geschichtsbuch X oder in die Karte Y hinein gegangen wäre.
In diesem Sinne: Auch wenn du gerade null Bock auf Geschichtsbücher und die folgenden Grafiken und Beispielrechnungen hast, könnte es sich lohnen, mich kurz zu begleiten.
«Alles klar, Herr Geschichts- und Mathematikprofessor, ich gebe dir fünf Minuten!»
Danke. Vielleicht werden es auch zehn. Aber fangen wir einfach mal an.
Wie die 4-Prozent-Regel funktioniert:
Die Regel besagt, dass du jährlich 4% deines zu Rentenbeginn in Aktien investierten Kapitals entnehmen kannst, ohne dass das Kapital nach 30 Jahren komplett aufgebraucht wird. Hierbei wird ein Aktienanteil von mindestens 50% vorausgesetzt. Diesen Entnahmebetrag kannst du dann jährlich um die Inflation erhöhen.
Nehmen wir also an, du hast eine Million Franken angespart und beschliesst, heute in Rente zu gehen. 4% von einer Million sind 40’000 Franken. Das ist dein Entnahmebetrag für das erste Jahr. Im nächsten Jahr kannst du diesen Betrag um die Inflation erhöhen. Nehmen wir an, die Inflation betrug im ersten Jahr 2%, dann kannst du im zweiten Jahr 40’800 Franken entnehmen. Die 4% werden nur einmalig vom Initialkapital ermittelt. Anschliessend ist egal, wie sich dein Kapital entwickelt – du bleibst bei dem initialen Entnahmebetrag von 40’000 Franken, den du einfach jährlich um die Inflation anpasst.
Wie die Regel zustande kam:
Die Regel stammt aus der berühmten „Trinity Study“ aus dem Jahr 1998. Drei Professoren der Trinity University erforschten, wie viel Geld über verschiedene Entnahmedauern (15, 20, 25 und 30 Jahre) aus einem Aktienportfolio entnommen werden kann, ohne dass das Kapital ausgeht.
Folgende Asset Allokationen (Verhältnis zwischen Aktien und Anleihen mit mittlerer Laufzeit) wurden getestet:
- 100% Aktien
- 75% Aktien und 25% Anleihen
- 50% Aktien und 50% Anleihen
- 25% Aktien und 75% Anleihen
- 100% Anleihen
Getestet wurde wie folgt:
Für jede Kombination von Entnahmedauern (15 bis 30 Jahre) und Asset Allokation (100% bis 0% Aktien) wurde die Erfolgsquote von Entnahmeraten von 3% bis 12% getestet. Dafür wurden alle möglichen Perioden der jeweiligen Entnahmedauer mit den historischen Daten von 1926 bis 1995 geprüft. Beispielsweise gibt es zwischen 1926 und 1995 40 mögliche 30-Jahres-Perioden mit den Start-Jahren 1926 bis 1965.
Dabei haben die Forscher herausgefunden, dass bei einer Entnahmedauer von 30 Jahren, einer Asset Allokation von 50% Aktien und 50% Anleihen und einer Entnahmerate von 4% pro Jahr eine 95-prozentige Wahrscheinlichkeit besteht, dass nach 30 Jahren das Anfangskapital nicht aufgebraucht ist.
Voilá, damit ist die 4-Prozent-Regel geboren!
Wenn wir das selber nachrechnen, sieht das Ergebnis etwa so aus. Im Gegensatz zur originalen Studie rechne ich hier mit monatlichen statt mit jährlichen Rentenstarts.1
Wir sehen, dass nur ein paar wenige Monate unter der 4-Prozent-Linie liegen. Hätten wir unsere Rente in diesen Monaten gestartet und 4% jährlich entnommen, hätte unser Kapital weniger als 30 Jahre lang gereicht.
Wir sehen auch, dass wir jährlich 8.8% hätten entnehmen können, wenn wir im Juli 1932 in Rente gegangen wären. Dies war der Boden der grossen Krise von 1929 bis 1932 und die Jahre nach 1932 waren geprägt von stark überdurchschnittlichen Renditen, weshalb wir mehr als das Doppelte von 4% hätten entnehmen können.
Zusammengefasst:
Starteten wir unsere Rente auf dem Höhepunkt eines Bullenmarkts, sank unsere jährliche Entnahmerate gegen 4% oder darunter. Starteten wir unsere Rente dagegen am Boden eines Bärenmarkts, konnten wir bis zu 8% oder mehr jährlich entnehmen. Der Grund dafür ist das «Sequence of Returns Risk», welchem wir uns im vierten Artikel dieser Serie widmeten.
Heute sind nicht nur die historischen Daten von 1926 bis 1995 verfügbar, sondern wir können das Gleiche auch mit den Daten von 1871 bis Mai 2020 nachrechnen. Dieser Zeitraum enthält nicht nur 40 30-Jahre-Perioden, sondern 119.
Wenn wir den gleichen Test mit diesen Daten wiederholen, sieht der Graph der erzielbaren Entnahmeraten so aus:
Hier ist um das Jahr 1900 ein Zeitraum dazu gekommen, in welchem die 4-Prozent-Regel nicht funktioniert hätte. Ansonsten sieht das Bild relativ ähnlich aus.
Kritik an der 4-Prozent-Regel
Es gibt einige Gründe, warum man sich nicht einfach blind auf die 4-Prozent-Regel verlassen kann:
- Die Regel gilt für den amerikanischen Markt. Wenn ich oben von „Aktien“ sprach, war der amerikanische S&P 500 Index gemeint. Ein amerikanisches Portfolio hat in der Vergangenheit ein globales Portfolio übertroffen. Während der amerikanische Markt in der Vergangenheit eine reale, jährliche Durchschnittsrendite von etwa 7% erwirtschaftete, können wir global mit etwa 5% rechnen.
- Gleiches gilt für die Anleihen – hier handelt es sich ebenfalls um amerikanische Anleihen. Zudem sind im aktuellen Zinsregime mit Anleihen nicht die historischen Renditen zu erreichen. In Zukunft dürfte ein Aktienanteil von 50% nicht ausreichen, um eine Entnahmerate von 4% fahren zu können.
- Ein Zeithorizont von 30 Jahren ist realistisch, wenn man 65-jährig regulär in Rente geht. Hört man aber 30-jährig auf zu arbeiten, hat man eher einen Zeithorizont von 70 Jahren vor sich.
- Und schliesslich ist nicht garantiert, dass die Aktienmärkte in Zukunft die gleiche Rendite erwirtschaften wie in der Vergangenheit.
Wie würde die obige Grafik aussehen, wenn wir den Zeithorizont von 30 auf 70 Jahre verlängern?
Das folgende Diagramm zeigt die möglichen Entnahmeraten bei einem Aktienanteil von 50% und einem Aktienanteil von 90%. Ein Aktienanteil von 90% entspricht unserer eigenen aktuellen Asset Allokation.
Bei einem Aktienanteil von 50% würde sich die sichere Entnahmerate bei einem Zeithorizont von 70 Jahren von 4% auf etwa 3% reduzieren. Die Misserfolgsquote würde bei einer Entnahmerate von 4% bei fast 40% liegen. Über 70 Jahre 4% jährlich zu entnehmen, wäre also wohl keine Option.
Bei einem Aktienanteil von 90% läge die Misserfolgsquote bei einer Entnahmerate von 4% bei unseren Tests dagegen immer noch bei etwa 5%.
4-Prozent-Regel zu starr?
Wenn man sich diese Diagramme ansieht, erkennt man gut, dass die möglichen Entnahmeraten sich jeweils ziemlich genau entgegengesetzt zu den Kursen der Aktien bewegen.
Befinden wir uns auf dem Peak einer Rally, sollten wir die Entnahmerate reduzieren, da zu hohe Entnahmen das Portfolio, das durch den folgenden Crash geschwächt wird, zu stark belasten. Sonst laufen wir Gefahr, pleite zu gehen. Im letzten Artikel dieser Serie sind wir auf dieses Risiko, das «Sequence of Returns Risk», eingegangen.
Um das Sequence of Returns Risk zu eliminieren, könnten wir unsere Entnahmeregel dynamischer gestalten. Statt jedes Jahr 4% des initialen Portfoliowerts könnten wir jedes Jahr 4% des aktuellen Portfoliowerts entnehmen. Damit könnten wir per Definition nie pleite gehen. Dadurch würden aber die Beträge, die wir jährlich entnehmen gleich stark schwanken wie das Aktienportfolio selber. Und diese Schwankungen können erheblich sein, wie die vergangenen Monate gezeigt haben dürften.
Wir brauchen also ein Mittelding. Wir wollen unsere Entnahmen temporär reduzieren, wenn die Märkte crashen – aber nicht um das gleiche Mass, wie das Portfolio zusammengebrochen ist.
Shiller CAPE to the rescue!
Der amerikanische Ökonom und Nobelpreisträger Robert J. Shiller hat eine Entdeckung gemacht, die uns das Leben hier einfacher macht. Er hat nämlich das Cyclically adjusted price-to-earnings ratio (kurz: CAPE) erfunden.
Dabei handelt es sich um eine Kennzahl, die wie folgt berechnet wird: aktueller Kurs geteilt durch den 10-Jahres-Durschschnitt der Gewinne.
Die Zahl zeigt damit an, ob die Aktien gegenüber der Gewinne der jeweiligen Unternehmen eher über- oder unterbewertet sind. Ein hohes CAPE weist auf eine Überbewertung hin und impliziert unterdurchschnittliche Renditen in den kommenden Jahren, während ein tiefes CAPE für eine Unterbewertung steht und dass in den kommenden Jahren mit überdurchschnittlichen Renditen gerechnet werden darf.
Das Shiller CAPE ist damit fast das gleiche wie die klassische KGV-Kennzahl, mit dem Unterschied, dass beim CAPE der 10-Jahres-Durchschnitt der Gewinne für die Berechnung herangezogen wird. Damit wird die Kurve geglättet.
Schauen wir uns den letzten Graph nochmal an – dieses Mal aber mit dem Shiller CAPE, statt mit dem Kurs des S&P 500 Index.
Boom! Das CAPE zeigt uns fast perfekt an, wann tiefere Entnahmeraten anzuraten sind! Und das CAPE können wir mit den verfügbaren Daten jederzeit in Echtzeit berechnen.
Wir könnten das CAPE also dazu verwenden, um bei unserem Rentenstart zu beurteilen, ob die Märkte aktuell eher über- oder unterbewertet sind, und damit unsere Entnahmerate zu berechnen.
Aber: 30, geschweige denn 70 Jahre sind eine sehr lange Zeit und während dieser Zeit kann unser Portfolio entweder stark wachsen oder zusammenbrechen. Es ist deshalb ratsam, die Entnahmerate nicht nur zu Beginn zu bestimmen, sondern auch unterwegs anzupassen.
Das Shiller CAPE ist auch dafür das perfekte Werkzeug. Es zeigt uns, wann wir unsere Entnahme erhöhen können und auch wann wir unsere Entnahmen reduzieren sollten, da wir sonst Gefahr laufen, unser Portfolio empfindlich zu schwächen.
Wie berechnen wir die aktuelle Entnahmerate?
Statt einfach eine Konstante wie 4% zu verwenden, verwenden CAPE-basierte Entnahmeregeln zwei Komponenten für die Berechnung der aktuellen Entnahmerate. Die erste Komponente ist ein konstanter Prozentwert – zum Beispiel 1%. Die zweite Komponente ist ein dynamischer Wert, der anhand des aktuellen CAPE zur Konstante dazu addiert wird.
Die Formel für die Berechnung lautet wie folgt:
In dieser Formel stellt a die erste Komponente und b * 1/CAPE die zweite Komponente dar.
Ein gängiger Wert für a ist 1% und für b 0.5. Das aktuelle CAPE des S&P 500 Index beträgt 28.5.2 Damit würde eine aktuelle Entnahmerate von 2.75% resultieren (1% + 0.5 * 1/28.5).
Das aktuelle CAPE liegt deutlich über dem langjährigen Durchschnitt von 16, was darauf hinweist, dass die Märkte aktuell überbewertet sind und in den nächsten Jahren mit unterdurchschnittlichen Renditen zu rechnen ist. Deswegen ist eine tiefere Entnahmerate als 4% anzuraten – gemäss unserer Formel nämlich 2.75%.
Je grösser das aktuelle CAPE ist, umso kleiner wird also die Entnahmerate. Umgekehrt steigt die Entnahmerate, wenn das CAPE tief ist – beispielsweise nach einem Crash.
Um die effektive Entnahme für das aktuelle Jahr zu berechnen, multiplizieren wir einfach den aktuellen Portfoliowert mit der Entnahmerate, die wir mit dem aktuellen CAPE ermittelt haben.
Würde unser Portfoliowert eine Million betragen, könnten wir dieses Jahr also 27’500 Franken entnehmen (oder 2’300 pro Monat). Im nächsten Jahr würden wir den neuen Entnahmebetrag dann frisch anhand des neuen CAPE und Portfoliowerts berechnen.
Nehmen wir einmal an, wir wären im Jahr 1871 mit einem Vermögen von einer Million Franken in Rente gegangen, die bis ins Jahr 2020 gedauert hätte. Das folgende Diagramm zeigt, wie sich die monatlichen Entnahmeraten und der Portfoliowert im zeitlichen Verlauf entwickelt hätten. In diesem Beispiel verwenden wir für a ein etwas aggressiverer Wert von 1.75% (b bleibt 0.5).
Unsere persönliche Entnahmeraten
Genau mit dieser Regel berechnen wir jeden Monat anhand unseres Vermögens und des aktuellen CAPE den Betrag, den wir in jenem Monat entnehmen können.
Mit ein paar Anpassungen:
- Wir fahren etwas aggressiver und verwenden für a nicht 1%, sondern 1.75% wie im obigen Beispiel (für b verwenden wir auch 0.5). Der gängige Wert von 1% ist uns etwas zu konservativ. Vor allem, wenn man bedenkt, dass wir in den kommenden Jahrzehnten die Entnahmen voraussichtlich nicht jeden Monat tätigen werden, sondern nur, wenn dann mal eine Phase kommt, in welcher wir kein Geld verdienen.
- Da wir nicht nur in den USA investiert sind, sondern ein globales Aktienportfolio besitzen, verwenden wir für die Berechnung nicht das CAPE des S&P 500 Index, das wir für all die obigen Berechnungen verwendet haben, sondern das globale CAPE. Dieses ist auf der Webseite der StarCapital AG ersichtlich. Im Moment liegt es bei 21.3.
Die folgende Grafik zeigt, wie sich unsere möglichen monatlichen Entnahmen im vergangen Jahr entwickelten.
Schön zu sehen ist, wie im April unsere monatliche Entnahme durch das tiefe CAPE wieder auf den Betrag vom Dezember 2019 angehoben wurde, obwohl der Wert unseres Portfolios nach den starken Kurseinbrüchen vom März immer noch etwa 15% unter dem Wert des Dezembers 2019 lag.
Wann werden wir wirklich Geld aus dem Portfolio entnehmen?
Ich spreche oben von „möglichen Entnahmen“, weil wir bis jetzt noch keinen Franken aus dem Portfolio entnommen haben.
Im November 2019 haben wir unsere Jobs gekündigt und haben damit gerechnet, dass wir dieses Jahr hauptsächlich von eben diesen Entnahmen leben würden. Ich hatte zwar einen befristeten Arbeitsvertrag für Februar bis April 2020 unterschrieben – aber dass dieser nach April verlängert werden würde, war mehr als unsicher.
Die Arbeit von hier aus für meinen Schweizer Arbeitgeber hat aber gut funktioniert. Und das Pensum von 30% hat gut gepasst. Damit verdienten wir mehr Geld, als wir hier in Ecuador zum Leben brauchen und trotzdem hatten wir noch viel Zeit für unsere anderen Interessen und die ehrenamtliche Arbeit im Hilfsprojekt.
So wurde mein Vertrag sehr zu meiner Freude bis Ende Juli 2020 verlängert. Er läuft also in sechs Wochen aus.
Für mich passt die Anstellung aber weiterhin sehr gut und ich komme trotz relativ geringem Pensum gut voran. Dies sieht mein Arbeitgeber glücklicherweise ähnlich und so hat er meinem Vorschlag, meinen Vertrag nach Juli unbefristet zu verlängern, zugestimmt!
Für mich fühlt sich das an wie ein Sechser im Lotto. Ich darf im Schnitt 2.5 Stunden am Tag die Arbeit ausführen, die ich immer noch liebe (oder wieder), und verdiene damit mehr, als Anika und ich ausgeben. Gleichzeitig habe ich (fast) genug Zeit für alles andere, das mir wichtig ist. Und das alles ohne Pendeln, ich kann meine Zeit frei einteilen und wir können uns aufhalten, wo wir möchten. Jackpot. (OK, die Tage sind immer noch viel zu kurz für alles, das wir machen möchten – aber so ist wohl das Leben.)
Solange ich diese unbefristete Anstellung habe, sind wir also nicht auf unsere Ersparnisse angewiesen. Im Gegenteil – wir können sogar jeden Monat etwas zur Seite legen.
Deshalb habe ich jetzt wieder einen Dauerauftrag eingerichtet, um jeden Monat 500 Franken in unser Aktiendepot zu überweisen.
Lasst mich zum Abschluss kurz vorrechnen, welche Rente uns in 35 Jahren erwarten würden, wenn wir diesen Lebensstil bis wir 65-jährig sind fortführen würden. Einfach so zum Spass.
- Meine voraussichtliche AHV-Rente (1. Säule): etwa 1’600 Franken monatlich (berechnet mit http://acor-avs.ch/requerant)
- Meine voraussichtliche PK-Rente (2. Säule):
Mein Kapital in der Pensionskasse würde in 35 Jahren voraussichtlich etwa 115’500 Franken betragen. Mit dem aktuellen Umwandlungssatz von 6.8% würde daraus eine monatliche Rente von rund 650 Franken resultieren. - Unsere Rente gemäss 4-Prozent-Regel aus unserem voraussichtlichen Vermögen in 35 Jahren:
Unser Vermögen wird mit den zusätzlichen monatlichen Sparraten von 500 Franken sage und schreibe etwa 3 Millionen Franken betragen (inflationsbereinigt!).3
Daraus resultiert gemäss 4-Prozent-Regel eine monatliche Rente von 10’000 Franken.
Total liegen wir also bei einer monatlichen Altersrente von über 12’000 Franken (inflationsbereinigt).
Holy Shit! Was zum Teufel sollen wir mit so viel Geld? Das ist etwa das Dreifache von dem, was wir in der Schweiz letztes Jahr pro Monat ausgaben.
Und wir würden diese Altersrente erzielen, obwohl ich ab dem 30. Geburtstag nur noch 30% arbeiten würde und ohne dass Anika je wieder Geld verdienen müsste.
Ich weiss ja nicht, was dein Gedanke ist, wenn du solche Rechnungen siehst. Für uns heisst es aber, dass wir uns nicht sorgen müssen, ob wir vielleicht doch wieder etwas mehr arbeiten müssten, um später sicher genug Geld zur Verfügung zu haben. Im Gegenteil: wir müssen fast aufpassen, dass wir in den kommenden Jahrzehnten nicht zu viel verdienen! Wir können uns die nächsten Jahre so viele Auszeiten nehmen, wie wir wollen und temporär von unseren Ersparnissen zehren. Gleichzeitig dürfen wir so viel arbeiten, wie wir möchten. In Zukunft spielt das Geld bei der Entscheidung, ob wir eine bestimmte Arbeit annehmen möchten oder nicht, definitiv keine Rolle mehr. Nie wieder.
Warum zeige ich dir diese Rechnung?
Sie sollen dir schwarz auf weiss zeigen, in welche Position du dich bringst, wenn du in frühen Jahren ein paar wenige 100’000 Franken zur Seite legst. Diese Ersparnisse ermöglichen dir in der Schweiz vielleicht noch kein Leben in Saus und Brau, aber sie reichen bereits aus, um zurückzulehnen und/oder dein Leben beliebig auf den Kopf zu stellen. Lass einfach die Zeit und den Zinseszinseffekt ihre Magie entfalten.
Versuche nicht, ab deinem 50. Geburtstag für deine Rente zu sparen. Lege in jungen Jahren etwas Geld zur Seite, investiere es, und geniesse dann dein Leben!
Weiterführende Ressourcen:
- Big ERN von earlyretirementnow.com hat eine sehr (!) umfangreiche Serie zu Entnahmestrategien geschrieben. Ein echter Klassiker. Die Folge 18 widmet sich CAPE-basierten Entnahmestrategien.
- Die Serie zu Entnahmestrategien von Oliver Nölting von frugalisten.de ist ebenfalls sehr lesenswert und lehrreich.
- Der amerikanische „Retirement Researcher“ Wade Pfau beschreibt in seinem Buch «How Much Can I Spend in Retirement» verschiedene Entnahmestrategien. Das Buch gibt es hier auf Amazon*.
- Mit dem Online-Rechner cFIREsim kannst du verschiedene Szenarien selber mit historischen Daten simulieren. In der oben erwähnten Serie von Oliver gibt es eigens einen Artikel dazu.
Fussnoten:
1 Quelle der Daten für die Berechnung: U.S.-Aktien seit 1871 von Robert Shiller und Renditen der Anleihen von Big ERN
2 Quelle: https://www.multpl.com/shiller-pe
3 Dieses Vermögen beinhaltet auch das PK-Kapital von Anika (mit 99% Aktienanteil in Freizügigkeitskonto investiert) und mein Kapital in der 3. Säule (mit 97% Aktienanteil investiert)
(* Affiliate Link)