Dies ist der vierte Teil der Serie über unseren finanziellen Masterplan. Hier geht es zum ersten Teil und zur Übersicht über die ganze Serie.
Bei einem globalen Aktienportfolio können wir mit einer durchschnittlichen realen (also nach Inflation) Rendite von 5 bis 6 % rechnen.
Man sollte also meinen, dass alles bestens ist, wenn wir nicht mehr als 5 bis 6 % jährlich aus dem Portfolio entnehmen.
Ganz so einfach ist es aber nicht. Die Bitch, mit welcher wir irgendwie klarkommen müssen, heisst «Sequence of Returns Risk» (oder «Sequence Risk»).
Ein Aktienportfolio wächst ja nicht jedes Jahr regelmässig um 5 %, sondern die Renditen schwanken.
Betrachten wir als Beispiel sechs Börsenjahre mit den Renditen 20 %, 15 %, 10 %, 5 % , -5 % und -15 %. Der (arithmetische) Durchschnitt dieser sechs Jahre liegt bei 5 %.
Schauen wir einmal, was mit unserem Portfolio passiert, wenn wir die Renditen unterschiedlich sortieren. Wir betrachten drei Szenarien: zufällige Sortierung, Rendite absteigend sortiert, Rendite aufsteigend sortiert.
Nehmen wir an, wir starten mit einem Portfolio von 300’000 Franken und entnehmen gemäss 4-Prozent-Regel zu Beginn jedes Jahres 12’000 Franken.
Erster Fall: zufällige Sortierung der Renditen:
Jahr | Startkapital | Kapital nach Entnahme | Rendite | Endkapital |
1 | 300’000 | 288’000 | 5 % | 302’400 |
2 | 302’400 | 290’400 | 10 % | 319’440 |
3 | 319’440 | 307’440 | -5 % | 292’068 |
4 | 292’068 | 280’068 | 20 % | 336’082 |
5 | 336’082 | 324’082 | -15 % | 275’469 |
6 | 275’469 | 263’469 | 15 % | 302’990 |
Zweiter Fall: absteigende Sortierung der Renditen:
Jahr | Startkapital | Kapital nach Entnahme | Rendite | Endkapital |
1 | 300’000 | 288’000 | 20 % | 345’600 |
2 | 345’600 | 333’600 | 15 % | 383’640 |
3 | 383’640 | 371’640 | 10 % | 408’804 |
4 | 408’804 | 396’804 | 5 % | 416’644 |
5 | 416’644 | 404’644 | -5 % | 384’412 |
6 | 384’412 | 372’412 | -15 % | 316’550 |
Dritter Fall: aufsteigende Sortierung der Renditen:
Jahr | Startkapital | Kapital nach Entnahme | Rendite | Endkapital |
1 | 300’000 | 288’000 | -15 % | 244’800 |
2 | 244’800 | 232’800 | -5 % | 221’160 |
3 | 221’160 | 209’160 | 5 % | 219’618 |
4 | 219’618 | 207’618 | 10 % | 228’380 |
5 | 228’380 | 216’380 | 15 % | 248’837 |
6 | 248’837 | 236’837 | 20 % | 284’204 |
Nach sechs Jahren haben wir bei diesen drei Fällen folgendes Endkapital:
- zufällig sortierte Renditen: 302’990 Franken
- absteigende Sortierung der Renditen (gute Jahre zuerst): 316’550 Franken
- aufsteigende Sortierung der Renditen (schlechte Jahre zuerst): 284’204 Franken
Bei dem dritten Fall mit den schlechten Jahren zuerst haben wir nach sechs Jahren das kleinste Endkapital und es schrumpfte temporär sogar auf nur 219’618 Franken. Autsch.
Wir folgern:
Je schlechter die Rendite zu Beginn der Entnahmephase, umso stärker wird das Portfolio durch die Entnahmen prozentual belastet und umso schwieriger wird es, den Anfangsbetrag wieder zu erreichen.
Wenn wir von der Ansparphase in die Entnahmephase übergehen, sind deshalb die ersten fünf bis zehn Jahre matchentscheidend. Während dieses Zeitraums sind wir besonders anfällig auf Crashs. Sind die ersten fünf bis zehn Jahre erst einmal ohne grössere Crashs überstanden, stellen auch starke Kurseinbrüche in der Regel keine Gefahr mehr dar, da das Portfolio in der Zwischenzeit genügend wachsen konnte (vorausgesetzt, die Entnahmerate wird nicht parallel signifikant erhöht).
Das «Sequence of Returns Risk» hat uns also ganz schön die Fresse poliert
Als wir im November letzten Jahres unsere sicheren Vollzeitjobs aufgaben, hatten wir ein frei verfügbares (also ohne Vorsorgekapital) Vermögen von 256’016 Franken.
Heute stehen wir noch bei 185’380 Franken. Das ist ein Minus von 70’636 Franken oder fast 28 %.
Wir haben also keine zehn Jahre ohne Crash überstanden, auch keine fünf, auch nicht eines und noch nicht einmal ein halbes. Keine vier Monate hat es gedauert.
Wie wir zurückschlagen
Grundsätzlich stehen verschiedene Optionen zur Verfügung, um auf solche Ereignisse zu reagieren:
- Einfach mit den Entnahmen gemäss 4-Prozent-Regel fortfahren. Die Regel basiert schliesslich auf Worst-Case-Szenarien und auch Crashes zu Beginn der Entnahmephase sollten damit überstanden werden.
- Die Ausgaben und die Entnahmerate reduzieren, damit das Portfolio nicht noch stärker belastet wird.
- Temporär ein aktives Einkommen erwirtschaften, um die Lebenskosten (teilweise) zu decken und die Entnahmen aus dem Portfolio reduzieren oder aussetzen zu können.
Wie reagieren wir auf diese Prügel?
Nun, komplett auf dem falschen Fuss wurden wir nicht erwischt. Wir haben von Anfang an nicht damit gerechnet, dass es an der Börse bei der Marktlage, wie sie vor ein paar Monaten bestand, weitere fünf Jahre oder mehr ohne Crash weitergehen würde.
Deswegen hatten wir von Anfang an nicht beabsichtigt, ab diesem Jahr nur noch von unseren Ersparnissen zu leben, und ich arbeite noch 30% für meinen ehemaligen Schweizer Arbeitgeber.
Mein Vertrag ist befristet und läuft noch bis Ende April. Wie es danach weitergeht, ist noch offen.
Ich würde den Vertrag gerne verlängern und mein Arbeitgeber hat mir vor etwa zwei Wochen mitgeteilt, dass auch sie eine Verlängerung wünschen. Mittlerweile hat sich aber die Situation für viele Firmen verschlechtert und viele haben auch schon Kurzarbeit eingeführt oder ähnliche Massnahmen ergriffen, um ihr Überleben in dieser ungewissen Situation zu sichern.
Es kann deshalb gut sein, dass er seine Meinung ändert und meinen Vertrag nicht verlängert, um Kosten einzusparen. Die Löhne meiner Kollegen in der Schweiz müssen schliesslich auch noch gezahlt werden.
In diesem Fall hätte ich noch ein paar Asse im Ärmel, um ihn von meiner Weiterbeschäftigung zu überzeugen. Um ihren aktuellen Cashflow in dieser Phase nicht zu sehr zu belasten, könnte ich zum Beispiel vorschlagen, dass bis auf Weiteres nur etwa 1’000 Franken meines Lohns ausgezahlt werden. Diese würden gut reichen, um unsere Lebenskosten zu decken. Wegen der Lohnrestzahlungen könnten wir dann auch später noch schauen. Im Vergleich zu den Vollzeitgehältern meiner Kollegen in der Schweiz wären meine aktuellen Lohnkosten dann noch marginaler, als sie jetzt schon sind.
Falls dies noch nicht reicht, würde ich temporär wahrscheinlich sogar für einen tieferen Lohn arbeiten. Ich bin nicht nur aus finanziellen Gründen am Überleben meines Arbeitgebers interessiert. Seit zwölf Jahren bin ich für sie tätig und sie haben mir in dieser Zeit viel ermöglicht. Bitte verratet das meinem Chef aber nicht – das soll mein Trumpf im Ärmel bleiben. 😉
Weniger Sorgen dank frugalistischem Lebensstil
Insgesamt geht es uns trotz der Kurseinbrüche noch sehr gut. Es ist zwar noch etwas ungewiss, wie wir unsere Ausgaben decken können, ohne unser Portfolio zu belasten, aber es könnte viel schlimmer sein.
Wir hätten uns beispielsweise letztes Jahr das grösstmögliche Haus besorgen können, das wir uns hätten leisten können. Dazu vielleicht zwei schöne neue geleaste Autos. Anika hat zwar keinen Führerschein – aber hey, warum nicht zwei Autos leasen, wenn man es sich leisten könnte? Wozu sparen, wenn man monatlich 10’000 Franken oder mehr verdient? Lasst uns das Leben geniessen! Es steht uns zu!
Würde mein Arbeitgeber in diesem Fall Kurzarbeit und Lohnreduktionen ankündigen, wäre es mit diesen hohen Fixkosten schwierig, auf die Situation zu reagieren. Im Moment wäre es wohl auch nicht so einfach, zu einem anderen Arbeitgeber zu wechseln, der mehr zahlt.
Fixkosten von weniger als 1’000 Franken monatlich sind da deutlich einfacher zu decken. Und wenn es tatsächlich nicht klappen sollte mit dem aktiven Einkommen, haben wir immer noch ein frei verfügbares Vermögen von über 180’000 Franken, auf welches wir zurückgreifen können. Dieses reicht dann vielleicht nicht mehr für immer, aber immer noch für zwei Jahrzehnte oder länger. Und so lange wird diese Krise wohl nicht andauern.
Des einen Leid, des anderen Freud
Das «Sequence of Returns Risk» trifft diejenigen am härtesten, die vor weniger als fünf bis zehn Jahren von der Ansparphase in die Entnahmephase übergegangen sind.
Die jüngsten Kurseinbrüche spielen dagegen denjenigen in die Karten, die noch früh in der Ansparphase stehen. Ist dein Vermögen im Moment eher gering, verlierst du vielleicht temporär ein paar tausend Franken – diese werden in ein paar Jahren, wenn du ein grösseres Vermögen angehäuft hast, aber kaum mehr eine Rolle spielen.
Freue dich also, dass du günstige Aktien erwerben kannst. Stelle aber auch sicher, dass du in den kommenden Monaten ausreichend liquide bist.
Ganz abgesehen von den Finanzen gilt im Moment aber sicher für alle:
Bleibt gesund, bleibt zu Hause und haltet die Ohren steif.