Nach kurzfristigen Umbuchungen unserer Bahntickets wegen des Streiks in Frankreich haben wir die erste Etappe bis Narbonne letzten Endes ohne grössere Probleme hinter uns gebracht. Lies mehr darüber im ersten Beitrag dieser zweiteiligen Serie.

Jetzt waren wir also in Narbonne und nur noch achtzig Kilometer von der spanischen Grenze entfernt. Da keine weiteren Fahrten mit französischen Zügen geplant waren, gingen wir davon aus, dass wir keine weiteren Fahrplan-Überraschungen wegen des Streiks erleben würden.

So checkten wir etwa um halb zehn Uhr morgens aus unserem Hotel aus und spazierten gemütlich zum Bahnhof. Unser Zug sollte uns um 10:33 Uhr ohne Umsteigen direkt nach Madrid bringen.

Am Bahnhof angekommen, suchten wir uns zuerst ein gemütliches Plätzchen, um unser Gepäck abzulegen. Mit Handgepäck bringt unsere Habe etwa 20 Kilogramm pro Person auf die Waage. (Hehe, guter Reim, Roli.) Wenn man bedenkt, dass die 20 Kilogramm so ziemlich alles sind, was wir noch besitzen, ist es nicht so viel. Unsere Schultern sind uns trotzdem meistens dankbar, wenn wir sie von der Last erlösen.

Wir hatten noch viel Zeit, bis unser Zug fuhr, warfen dann indessen trotzdem einen ersten Blick auf die digitale Abfahrtstafel. Hmmm, irgendwas stimmte da nicht. Augen reiben. Stimmt immer noch nicht! Unser Zug nach Madrid war nicht aufgeführt. „Vielleicht führen sie hier nur französische Züge auf und keine spanischen?“, versuchten wir uns die Sache schönzureden.

Jedoch war unser Zug auch auf keiner anderen Tafel zu finden. Die Schalter waren alle geschlossen, da konnten wir niemanden fragen. Nur eine einsame Dame mit Warnweste trieb sich auf dem Bahnsteig herum. In perfektem Französisch fragte ich sie, auf welchem Gleis unser Zug nach Madrid fahren würde. Wie immer, wenn ich mein bestes Französisch auspacke, erhielt ich eine englische Antwort. Das ist noch bemerkenswerter, wenn man weiss, wie ungern der durchschnittliche Franzose Englisch spricht. Ganz unabhängig von der Sprache war die Antwort ziemlich unerfreulich. Die Dame klärte mich auf, dass unser Zug nicht fahren würde. Wir müssten stattdessen den Zug nach Barcelona nehmen. Dieser fuhr aber erst kurz vor drei am Nachmittag!

Das Warten machte uns nicht aus, aber die Umbucherei ist schon nervig. Dabei ist nicht der Prozess des Umbuchens an sich das Problem, sondern, dass ich ein ziemlich preissensitiver Mensch bin. Die ursprünglich gebuchten Verbindungen haben wir so gewählt, dass sie einigermassen günstig sind. Bei einer Last-Minute-Umbuchung wegen eines Streiks kriegen wir zwar die Fahrkarten, die wir nicht nutzen konnten, zurückerstattet, aber es ist natürlich sehr wahrscheinlich, dass die neue, kurzfristig gebuchte Verbindung teurer ist. Das war jetzt aber alles nicht mehr zu ändern. Also buchten wir die neuen Fahrkarten und machten es uns am Bahnhof gemütlich.1

Viereinhalb Stunden warten am Bahnhof in Narbonne

Die Zeit verging wie im Flug und unser Zug setzte sich pünktlich kurz vor drei Uhr in Bewegung Richtung Spanien. Schon nach kurzer Zeit näherten wir uns der Region um Perpignan. Jedes Mal, wenn ich die Ausläufer der Pyrenäen hinter Perpignan erblicke, fühlt es sich ein bisschen an, als würde ich nach Hause kommen. Schon fast solange ich mich erinnern kann, fuhren meine Eltern mit mir und meinen Schwestern in den Sommerferien nach Argelès-sur-Mer – ein kleines Örtchen etwas südlich von Perpignan. Auch Anika und ich haben hier schon einige Male gemeinsam Urlaub gemacht. Mittlerweile ist es fast wie eine zweite Heimat geworden.

Wir nähern uns den Ausläufern der Pyrenäen hinter Perpignan. Hallo, zweite Heimat!

An unsere erste Fahrt nach Argèles-sur-Mer kann ich mich noch besonders gut erinnern. Es war im Sommer 1997 und wir fuhren bei Nacht. Wir hatten die Rückbank unseres Audi 100 Avant runtergeklappt und meine Schwestern und ich lagen auf einer grossen Luftmatratze im Rückraum. Aus den Lautsprechern drang „Knowing Me Knowing You“ und weitere Hits von ABBA.

Wenn ich meinen Kopf zum Seitenfenster wandte, konnte ich den Kometen Hale-Bopp am Nachthimmel sehen. Scheinbar bewegungslos stand er am Himmel, obwohl er unser Sonnensystem mit einer Geschwindigkeit von über 44’000 Kilometern pro Sekunde durchquerte. Mit dieser Geschwindigkeit bräuchte er also weniger als eine Sekunde, um die Erde am Äquator zu umrunden. Der harte Kern des Kometen hatte nur einen Durchmesser von etwa 50 Kilometern, trotzdem betrug die absolute Länge seines Schweif je nach Beobachtungspunkt sage und schreibe 50 bis 100 Millionen Kilometer. Somit könnte man diesen über tausend Mal um die Erde wickeln.

Hale-Bopp ist heute zwar nicht mehr von blossem Auge zu erkennen, aber er ist deswegen nicht verschwunden. In etwa 2’400 Jahren wird er wieder ins innere Sonnensystem zurückkehren.

Wenn ich mich wegen etwas ärgere oder sorge, denke ich gerne an Hale-Bopp. Wenn er etwa im Jahr 4419 zurückkehrt, wird sich niemand mehr an mich oder meine Problemchen oder meinen Ärger erinnern. Also kann ich auch genau so gut jetzt schon darauf verzichten und mich wieder auf das Positive fokussieren. Wenn Hale-Bopp noch nicht reicht, um die Sorgen zu vergessen, kann man auch etwas grössere Geschütze auffahren und sich Folgendes in Erinnerung rufen: Genau wie unsere Erde, umkreist Hale-Bopp die Sonne. Um die Sonne einmal zu umkreisen, benötigt er etwa 2380 Jahre. Die Sonne wiederum umkreist das Zentrum unserer Galaxie und benötigt dafür etwa 220 bis 240 Millionen Jahre. Neben unserer Sonne gibt es in unserer Galaxie mehrere hundert Milliarden weitere. Und neben unserer Galaxie gibt es mindestens 100 Milliarden weitere, die alle ebenfalls mindestens 100 Milliarden Sonnen enthalten. Spätestens jetzt dürfte jedes Problemchen so verschwindend klein erscheinen, dass man nur noch darüber lachen kann!

Aber ich schweife ab. Landen wir unser Space Shuttle wieder und kehren wir zurück in unseren Zug nach Madrid.

Perpignan hatten wir bald hinter uns gelassen und kurz darauf auch die französische Grenze. In Figueres stiegen wir noch einmal um. Der Zug, den wir nun bestiegen, sollte uns dieses Mal definitiv nach Madrid bringen. Noch schnell ein Hotel für die nächsten zwei Nächte in Madrid gebucht, und schon fuhren wir im Bahnhof ein. Wieder wählten wir ein günstiges Hotel in Gehdistanz zum Bahnhof. Manchmal erlebt man ja auch positive Überraschungen, aber in diesem Fall empfanden wir die Hotel-Bewertung von nur 3.1 von 5 Sternen bei Google gerechtfertigt. Für zwei Nächte war es dennoch ausreichend.

In Madrid hatten wir nun einen Tag Pause, bevor wir am 6. Januar in den Flieger nach Ecuador stiegen, den wir für etwas Sightseeing bei bestem Wetter nutzten.

Tauben bei der Morgenhygiene.
Kuppel der Real basílica de San Francisco el Grande.
„Oh, schau mal, da ist ’ne Katze, lass mal hinsetzen.“ Aus einer Katze wurden zwei, dann drei, und als eine ältere Frau etwas Futter von der Mauer fallen lies, zählten wir nicht weniger als zwanzig Vierbeiner.
Almudena-Kathedrale.
Geniessen der letzten Sonnenstrahlen im Park.
Zurück ins Hotel und Rucksack packen!

Mit vielen Kilometern in den Beinen fielen wir am Abend ins Bett. Zur Abwechslung mussten wir auch wieder einmal einen Wecker stellen, denn am nächsten Morgen wollten wir um 6:20 Uhr mit dem Airport-Express-Bus aufbrechen. Zum ersten Mal würden wir am nächsten Tag in den Flieger steigen, ohne zu wissen, wann wir das nächste Mal wieder einen Fuss auf europäischen Boden setzen werden. Mehr zu unserer Ankunft in Südamerika im nächsten Artikel!

1 Also natürlich buchten nicht wir die neuen Fahrkarten, sondern wie bei den vorherigen Umbuchungen mein Mami. 😉 Danke!